Kreative Impulse aus der E0c zu W. Borcherts "An diesem Dienstag..."

Neben anderen literarischen und pragmatischen Texten wurde auch die Kurzgeschichte "An diesem Dienstag" von W. Borchert im Rahmen des Deutschunterrichts der E0c analysiert und interpretiert. Den sich anschließenden "kreativen Impuls" (eine Doppelstunde, Anfang März 22) nutzten einige Schülerinnen und Schüler zur kritischen Reflexion des Krieges in der Ukraine.

 

An diesem Donnerstag,
Die Woche hat einen Donnerstag.
Das Jahr hat ein halbes Hundert.
Der Krieg hat viele Donnerstage.
An diesem Dönerstag
Matheklausur über Vektoren. Unser Lehrer hat uns gut vorbereitet. Zweifel in den
Augen unserer Mitschüler…Schlechte Noten auf Lehrer schieben? Leicht.
Berechnen von Spendengeldern für die Ukraine. Zu schwer?
Krieg ist teuer. Wie berechnet man Krieg?
An diesem Dönerstag
wird russischen Soldaten eine weitere Großoffensive befohlen. „Sergej, schieß!
Leg die Landminen auf den Weg! Z- wie Zerstörung. Befehl ist Befehl. Krieg ist
Krieg. Mathe ist Mathe, an diesem Donnerstag. Derweil Sergej zurück ins Lager.
Ukrainische Späher. Mine. Bein ab.
Krieg ist teuer. Krieg kostet Leben.
Mathe ist Mathe an diesem Donnerstag.
An diesem Dönerstag
das Ende der Klausur. Döner am Dönerstag mit bitterem Beigeschmack.
Und teurer. Im Krieg fehlen Resourcen.
Im Krieg sind nicht alle Menschen gleich.

Henry, Max, Magnus (E0c / April '22)

 

An diesem Donnerstag,
schrieben sie die Deutschklausur, auf die sie sich vorbereitet hatten.
An diesem Donnerstag,
griff die russische Armee die Ukraine an
An diesem Donnerstag,
verabredeten sie sich zum Eisessen mit Freunden
An diesem Donnerstag,
sterben unzählige Menschen in der Ukraine
An diesem Donnerstag,


verstehe ich die Welt nicht mehr


An diesem Donnerstag,
vergisst er seine Brotdose – in Mariupol Hunger, Elend


- Abgründe laut Kafka


An diesem Donnerstag,
kritzeln die Kugelschreiber über das Papier –


Borcherts Botschaft!


Carlotta, Berkay Genç, Daniel, Rafael, Maxi, Mayleen (E0c / April '22)

 

An diesem Dienstag …
… sitze ich wie jeden Dienstag im Klassenraum. Geschichte. Der zweite Weltkrieg. Wie könnte ich an den zweiten Weltkrieg denken, wenn uns ein Dritter kurz bevor steht? Genau, meine Gedanken sind überall. Überall, aber nicht hier. Wie schlimm es wohl sein muss. Wie schlimm es sein muss, alles zu verlieren. Nein, das können wir uns gar nicht vorstellen. Wir, die hier leben. Die gesund sind. Die das Glück haben in Frieden zu leben. Eine Demokratie ohne Krieg. Frieden. Wie sehr ich mir wünsche, es wäre vorbei. Ich verstehe es nicht. Wie kann es sein, dass im 21. Jahrhundert so etwas noch möglich ist? Ich verstehe es nicht.


An diesem Dienstag…

… befinde ich mich irgendwo kurz vor der polnischen Grenze. Ich weiß: bald haben wir es geschafft. Zumindest vorerst. Aber ein Gedanke, ein Gedanke geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Gedanke, der die ganze Zeit in meinem Gehirn herumschwirrt. Wie geht es meinem Vater? Wie meinem Bruder? Was machen sie gerade? Leben sie überhaupt noch? Geschockt von den Dingen, die ich mitansehen musste, laufe ich nun. Ich laufe immer weiter. Neben mir nur meine Mutter und meine Großmutter. Die anderen mussten wir zurücklassen. Ich kann nicht mehr. Ich bin hungrig. Aber ich weiß, ich muss. Ich habe keine Wahl. Entweder ich laufe weiter oder - ja was oder? Es gibt kein oder, ich weiß, ich muss. Noch einen Verlust würde meine Mutter nicht überleben. Das weiß ich.


An diesem Dienstag…
… moderiere ich wie jeden Tag die Tagesschau. Ich erhalte die neuesten Informationen von meinem Kollegen live aus Kiew. Angst, Terror, Gewalt muss ich möglichst sachlich rüber bringen. Ohne Emotionen. Das Ganze in nur fünf Minuten. Mehr Zeit gibt es nicht. Gestern noch Berichte von Hoffnung. Hoffnung auf Friedensgespräche. Heute ist wieder alles zerstört. Der Krieg geht weiter. Weitere Kriegsverbrechen, weitere Opfer. Und mit welchem Sinn? Seit drei Wochen berichte ich jetzt täglich. Täglich von Angst und Schrecken. Aber was können wir hier nur tun? Ich weiß es nicht.


An diesem Dienstag…

… bin ich wie jeden anderen Tag in Kiew. Mal wieder ohne Schlaf aufgewacht, völlig müde. In der selben Ausrüstung seit 7 Tagen. Auf zum Sammelpunkt. Besprechung. Ist das Land noch zu retten? Gibt es noch Hoffnung? Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß, ich werde kämpfen. Sirenen. Der ständige Ton von Sirenen. Ständig in meinem Ohr. Doch ein Gedanke immer wieder in meinem Kopf. Immer wieder. Wie geht es meiner Familie? Sind sie schon in Polen angekommen? Leben sie überhaupt noch? Ich frag mich: Wieso muss es überhaupt Krieg geben? Ich verstehe es nicht. Ich werde mein Land beschützen. Koste es, was es wolle. Das weiß ich.

Mika, Sarah, Hannah und Filippa (E0c / April '22)

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